Montag, 7. April 2014

Martin Luther. Eine Kindheit voller Gewalt.

Unter dem Untertitel „Ein Reformator mit gnadenlosen Parolen“ hat sich die Journalistin Ingrid Müller-Münch (2012) innerhalb ihres Buches „Die geprügelte Generation“ kurz mit Martin Luther befasst. Dieser plädierte, so schreibt sie, stets für eine harte Hand und Prügel im Umgang mit Kindern und zitierte gerne den Spruch Salomons „Wer seine Rute schonet, der hasset seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald.“ (Ergänzene Anmerkung: Der Wissenschaftsjournalist Jörg Zittlau (2010, S.22) zitiert Luther mit den Worten: „Man muss Kinder stäuben und strafen, aber gleichwohl soll man sie auch lieb haben.“ und Dieterich (2013, S. 18) meint, dass Luther für Körperstrafen gegen Kinder war, allerdings zu harte Prügel ablehnte.) Müller-Münch schreibt, dass Luthers Erziehungsanweisungen Gewicht im Umgang mit Kindern hatten und sich über Generationen auswirkten. Ob diese nachfolgenden Elterngenerationen unbedingt Luthers Anweisungen brauchten, um ihre Kinder zu schlagen, bezweifle ich. Die Anweisungen hatten sicher eine stützende Funktion. Aber vornehmlich gab jede neue Elterngeneration nur das weiter, was selbst als Kind erlitten wurde.

Auch Martin Luther wurde als Kind schwer misshandelt.  O-Ton Luther: „Meine Eltern haben mich hart gehalten, dass ich auch darüber gar schüchtern wurde; und ihr ernst und gestreng Leben, das sie mit mir führten, war eine Ursache dafür , dass ich hernach in ein Kloster lief und ein Mönch wurde. Die Mutter stäupte mich einmal um einer geringen Nuss willen, dass das Blut danach floss. Aber sie meinten`s herzlich gut.“  (Aus einer Predigt – die durchzogen ist von der Forderung zum Gehorsam der Kinder und der Pflicht der Eltern, diesen zu erzwingen - von Martin Luther (1973, S. 118) vom 20.08.1535.  Luther sagte u.a. in seiner voran zitierten Predigt: „Man soll die Kinder und Schüler also strafen, dass allewege der Apfel neben der Ruten ist. Es ist ein bös Ding, wenn Kinder und Schüler ihren Eltern und Lehrern gram werden.“  (ebd., S. 118)
Ähnliche Erziehungsmethoden wie die Mutter praktizierte auch sein Vater. "Mein Vater stäupte mich einmal so sehr, dass ich vor ihm floh und dass ihm bange war, bis er mich wieder zu sich gewöhnt hatte." (Dieterich 2013, S. 18) Unter „stäuben“ verstand man damals das festzurren oder festhalten, um dann Körperstrafen in Form von Stock- oder Rutenhieben zu verabreichen. (Zittlau 2010, S 21+22)

Gleichzeitig belegen seine Aussagen die starke Identifikation mit dem Aggressor. Schläge werden mit Liebe gleichgesetzt und die destruktiven Eltern weiterhin geehrt. Dieser ursprüngliche psychische Schutzmechanismus des hilflosen Kindes führte bei Luther später dazu, dass er selbst vom Opfer zum Täter oder Täterunterstützer wurde.
Über Luthers Kindheit erfährt man bei Zittlau ansonsten noch, dass der Vater als Erzieher kaum auftrat und abwesend war. Ab dem Alter von ca. 14 Jahren besuchte Martin die Domschule in Magdeburg und wohnte in einem Schülerheim. Dort wurden ähnliche Erziehungsmethoden praktiziert wie zu Hause. „Einmal bezog er an einem einzigen Vormittag fünfzehn Mal Schläge, weil er nicht richtig konjugieren und deklinieren konnte – dabei hatte man es ihm noch gar nicht beigebracht.“ (Zigglau 2010, S. 23) Manche Lehrer, folgerte Luther später, sind Einpeitscher und "grausam wie die Henker". (Dieterich 2013, S. 18)

Ich muss gestehen, dass ich mich bisher wenig mit Martin Luther befasst habe (und wahrscheinlich auch bis heute noch zu wenig). Mein Wissen über ihn bestand weitgehend aus aufgeschnappten Infohäppchen meist aus Ausführungen im Alltag, Schule oder Fernsehen oder vor allem auch  aus einer filmischen Dokumentation, die ich einst sah. Für mich mit meinem Halbwissen über Luther war er ein Mensch, der für die damalige Zeit ungewöhnlich war, der den Mut hatte, die Kirche und deren Autorität  in ihren Grundfesten zu kritisieren, der ein besseres Menschenbild und ein besseres, menschlicheres Gottesbild wollte und der auch ungewöhnlich emanzipiert mit seiner Frau umging und dieser sehr viele Freiheiten zugestand. Irgendwie hatte ich ein Bild von Luther im Hinterkopf, das sicher auch zum Teil daher rührt, da die evangelische Kirche und auch die Geschichtsschreibung dieses Bild - so mein Eindruck - stets fördert.  Dieses Bild von Luther und das Wissen um seine besonders schwere Kindheit passten bisher nicht für mich zusammen. Ich traue Menschen mit schweren Kindheitserfahrungen natürlich grundsätzlich zu, sich für Menschlichkeit und Emanzipation einzusetzen und Autoritäten zu hinterfragen.  Aber dies vor allem eher in der heutigen Zeit, mit ihren diversen Vorbildern, vermittelten Werten und auch Möglichkeiten der psychischen Gesundung. Aber Anfang des 16. Jahrhunderts? Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich damals ein schwer misshandeltes Kind zu jemandem entwickeln konnte, der meinem Bild von Luther entsprach, das ging nicht zusammen. Es machte sozusagen psychisch keinen Sinn. Ich fragte mich: Wo blieb Luthers (Selbst)Hass? Bei solch schweren Gewalterfahrungen durch beide Elternteile ist es unmöglich, unbeschadet zu bleiben.

Kürzlich las ich dann einen Artikel auf Welt-Online (31.03.2014) mit dem Titel „Neuneinhalb Thesen gegen Martin Luther„, der für mich die Dinge passend machte, die vorher keinen Sinn ergaben. Gleich in der Titelunterschrift ist zu lesen: „Deutschland plant das Lutherjahr 1517 – und übersieht gern die dunkle Seite des Reformators: Fundamentalismus, Judenhass, Hexenwahn, Apokalyptik.“  Ich will den Text gar nicht zu viel zitieren, mensch lese ihn bitte selbst! Zwei  Luther-Zitate übernehme ich allerdings hier, zum einen Luthers „antisemitisches Aktionsprogramm“ und sein Denken vor allem im Angesicht des damaligen Bauernaufstandes:
Erstlich, dass man ihre Synagoga oder Schulen mit Feuer anstecke ... Zum anderen, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre ... Zum dritten, dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein ... Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren ... Zum fünften, dass man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe ... Zum sechsten, dass man ... nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold und lege es beiseite zum Verwahren ... Zum siebten, dass man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen ... " und
 „Der Esel will Schläge haben, und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein. Das wusste Gott wohl; drum gab er der Obrigkeit nicht einen Fuchsschwanz, sondern ein Schwert in die Hand."

Die im Artikel benannten Details sind zum Teil auch auf Wikipedia zu lesen. Ergänzend beschreibt Wikipedia auch, dass Luther sich für die Tötung von Behinderten einsetzte. Ein geistig schwer behindertes Kind beschrieb er als „Fleischmasse“, das keine Seele besitze. In ihm habe der Teufel den Platz der Seele eingenommen.

Luther mag eine große Reformbewegung angestoßen haben. Sein Selbst- und sein Menschenbild war allem Anschein nach durchzogen von Hass und Destruktivität. Als Vorbild für Menschlichkeit dient Martin Luther in meinen Augen nicht. Seine extrem traumatische Kindheit kann - so meine ich - diese persönliche Entwicklung gut erklären.


Quellen:

Dieterich, Veit-Jakobus (2013). Martin Luther. Sein Leben und seine Zeit. (3. Auflage). Deutscher Taschenbuch Verlag, München.

Luther, Martin (1973). Luthers Epistel-Auslegung: Bd. Die Briefe an die Epheser, Philipper und Kolosser. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. (von mir online entnommen hier)

Müller-Münch,  Ingrid  (2012). Die geprügelte Generation. Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen. Klett-Catta Verlag, Stuttgart.

Welt-Online, 31.03.2014, „Neuneinhalb Thesen gegen Martin Luther„ (von Alan Posener)

Zittlau. Jörg (2010).  Sie meinten`s herzlich gut. Berühmte Leute und ihre schrecklichen Eltern. List Verlag, Berlin

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